Vor einiger Zeit hat mir ein gestandener Unternehmer und CEO die Frage gestellt, warum immer noch so vieles schief laufe in den Führungsetagen der Unternehmen, obwohl ja bezüglich richtiger Kommunikation in der Führung eigentlich schon seit langem alles gesagt und geschrieben sei. Diese Frage ist mir letzthin wieder in den Sinn gekommen, als ich mich auf dem Heimweg befand von einem Ethik-Forum. Es war insgesamt zwar ein spannender Anlass - und doch blieb für mich die Frage zurück, auf die mir niemand eine befriedigende Antwort geben konnte. Die Frage lautet: Muss ethisches Handeln denn wirklich so anstrengend sein?

Die Grenzen von guten Vorsätzen

An besagter Tagung wurde viel über Ethik und moralisch richtiges bzw. nicht richtiges Handeln gesprochen. Dabei wurde der kategorische Imperativ von Imanuel Kant („Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde …“) ebenso zitiert wie einige Grundthesen des Utilitarismus (zum Beispiel „das grösste Glück der grössten Zahl“). Die Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie als Realität oder Utopie wurde ebenso diskutiert wie die Verantwortung des Staates und der Privatwirtschaft bei der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Man konnte eine Menge spannender Inputs hören und sich damit auseinandersetzen. Es ging ebenso um gesellschaftliche Analysen und globale Trends wie auch um menschliches Unvermögen und um die Macht des marktwirtschaftlichen Denkens, das unser ganzes Leben beeinflusst. Wie können wir eine Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum und Ressourcenverschwendung wirklich erreichen? Oder was müssen wir tun, um den Erdölrausch zu überwinden und nicht mehr auf Kosten künftiger Generationen das Ökosystem unseres Planeten derart aus dem Gleichgewicht zu bringen?

Die Frage, die zu kurz gekommen ist . . .                                                                                              Es gab viele Fragen und einige Versuche, auf diese Fragen ansatzweise Antworten zu finden. Das war zweifellos der gute und wertvolle Teil dieser Veranstaltung. Doch daneben gab es auch etwas, das für mich eindeutig zu kurz gekommen ist. Und zwar ist es die kritische Auseinandersetzung mit einer ganz einfachen Frage – der Frage nämlich, warum wir etwas, das wir grundsätzlich als sinnvoll und gut erachten, letztlich doch nicht tun. Wir wissen zwar in sehr vielen Situationen, worin das ethisch richtige Handeln eigentlich liegen würde, und dann entscheiden wir uns schliesslich nicht selten für ein Verhalten, das unseren ethischen Ansprüchen doch nicht wirklich zu genügen vermag. Entweder geben wir dann der Umwelt und den schwierigen Rahmenbedingungen die Schuld – etwa unter dem Motto, dass es ja ohnehin nichts bringe und man zuerst in der Politik und in der Wirtschaft ansetzen müsse, bevor man als Einzelperson so viel Mühe auf sich nehme – oder dann trösten wir uns mit einem lockeren Spruch darüber, dass halt niemand perfekt sei und versuchen dabei irgendwie, unser latent schlechtes Gewissen im Zaum zu halten oder wieder zu verdrängen.

Warum tun wir das? Warum also ist ethisches Handeln vielleicht doch nicht die natürlichste Sache der Welt?
Ich glaube, dieses Thema hat viel damit zu tun, dass wir eben nicht ausschliesslich rationale, sondern gleichzeitig auch emotionale Wesen sind. Und besonders dort, wo es um die Frage des richtigen oder guten Handelns geht – sei es im Zusammenhang mit Führungsthemen oder eben auch bei Fragen rund um ethisch richtiges Handeln schlechthin – müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass unser Verhalten immer eine rationale und eine emotionale Komponente hat. Aber was heisst das? Was müssen wir tun, um unser Verhalten in die „richtige Richtung“ zu lenken? Was müssen wir tun, um gute Menschen zu werden? Genau an diesem Punkt plädiere ich für eine radikale Abkehr vom herkömmlichen Denken, das uns zwar allen bestens vertraut ist, uns aber immer wieder in eine falsche Richtung führt. Mit „herkömmlichem Denken“ meine ich in erster Linie den Leitsatz, dass es besser ist, an das Wohl unserer Mitmenschen zu denken als an uns selbst oder auch, dass wir unseren Egoismus erst einmal überwinden müssen und die Welt erst dann besser werden kann. Rein von der Sache her mag dieser Gedanke zwar richtig sein, aber in der Umsetzung funktioniert er leider nicht. Denn unsere Emotionen spielen uns dabei immer wieder einen Streich. Die 150 formulierten Ziele für eine nachhaltige Entwicklung sind zwar sicher gut gemeint, aber wir werden sie nicht umsetzen können, solange wir so tun, als wären wir Menschen tatsächlich in der Lage, rein rational zu funktionieren. Was also können wir tun? Worin besteht denn nun der „neue Denkansatz“?

Müssen wir zuerst gut zu uns sein, um gut zur Umwelt sein zu können?
Ich plädiere dafür, dass wir endlich lernen, unsere Gefühle ebenso ernst zu nehmen wie unseren Verstand. Das bedeutet auch, dass wir zunächst zu uns selbst gut sein müssen, bevor wir zu andern Menschen und zur Umwelt gut sein können. Erst dann kann ethisches Handeln zu einer wirklichen Herzensangelegenheit werden, die nicht einer anstrengenden Pflichtübung gleicht, sondern sich ganz natürlich und ohne besondere Mühe ergibt und sich fast automatisch ausbreitet. Erst dann, wenn wir uns nicht mehr aus schlechtem Gewissen, aus Scham oder gar aus Angst vor Bestrafung für ethisches Handeln entscheiden, sondern einfach aus einem inneren Bedürfnis heraus, wird Ethik eine nachhaltige Wirkung entfalten. Doch dafür müssen wir die von unserem Intellekt als richtig erachteten Handlungsmaximen erst einmal in unsere ganze Persönlichkeit integrieren. Und dazu gehört eben auch unsere emotionale Welt. Wir müssen eins werden mit dem, was wir als richtig erachten. Erst dann wird die Ethik eine Kraft entwickeln, die etwas bewirken kann.

Wir werden dann vielleicht nicht mehr so oft über die Notwendigkeit von ethischem Handeln sprechen, sondern uns einfach ethisch verhalten. Und es wird mit Bestimmtheit nicht so anstrengend sein wie es den Anschein machte bei zahlreichen, zweifellos gut gemeinten Referaten, die an oben erwähntem Ethik-Forum gehalten worden sind.

Und mit der Führung verhält es sich meines Erachtens genau gleich – dies vielleicht als Antwort an den eingangs erwähnten Unternehmer, der diese Frage gestellt hat. Erst wenn wir sowohl auf einer rationalen als auch auf einer emotionalen Ebene gelernt haben, uns selbst auf eine gute Art zu führen, sind wir in der Lage, dies auch in unserem beruflichen Führungsalltag umzusetzen. Wirklich funktionieren kann nur das, was wir in unsere ganze Persönlichkeit integriert haben. Und dies geschieht eben nicht allein im Kopf.